"Achtung, Mitläufer...

...auf der Lebenslaufbahn kommt ihnen ein Geisterläufer entgegen! Bitte bleiben Sie rechts und überholen Sie nicht!" Richtig geraten. Der Geisterläufer bin ich. Man könnte sagen, ich renne den Lebens- und Karriereweg in die falsche Richtung. Man muss den Tatsachen ja mal ins ungeschönte Angesicht gucken: Ich bin ein Versager. Wer sowas hier schon mal gelesen hat, der kann seinen Browser zuklicken - ihr kennt das Gejammer ja schon und auch sonst unterscheidet es sich nicht vom typischen Midlife-Krisen-Lamento würdelos gealterter, vom Schicksal gebeutelter, chronisch unterf..orderter, (sogar von den eigenen Kindern) gering geschätzter Teilzeitarbeitnehmerinnen/-mütter. Jaaa, ich hatte heute wieder meine "Ich habe mein Leben komplett in den Sand gesetzt"-Phase. Es gab keinen speziellen Grund dafür. Sie war einfach da. Sie - die "Na, ne Runde heulen?"-Phase. Gut, sie lauert immer irgendwo hinter mir und passt genau den Moment ab, in dem ich zaghaft zu denken wage, dass doch nicht alles so schrecklich ist, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Und sorgt dafür, dass ich nicht zu realitätsfremd werde. Als kleine Stimme in meinem Kopf, die munter jeden positiven Grundansatz in meinem Denken demontiert und widerlegt. Ich kann sie höööören.... Heute war sie mal wieder ganz besonders aktiv, meine kleine "Freundin".
Beispiele:
Wir waren also bei meiner Mutter Kaffeetrinken. Meine Oma, von mir liebevoll Ömchen genannt, war auch da.

Mutti: "Schön, dass ihr da seid. Ich seh euch ja so selten."
Die Stimme: "Ja, aber häufiger muss es auch nicht sein."
Ich (ignoriere die Stimme): "Ich finds auch schön."
Die Stimme: "Tu doch nicht so...am Liebsten wärste im Bett und würdest dich totstellen!"

Mutti: "Deine Kinder sind ja so gut erzogen. Kannste stolz drauf sein."
Die Stimme: "Und wie...Julian macht einen auf Forrest Gump (nur in weniger erfolgreich), Lara zeigt sich mal wieder von ihrer 'besten' Seite (wälzt sich auf dem Boden vor der Heizung und winselt, dass die Hitze sie müde macht und sie nach Hause will) und Sabine bockt, weil sie lieber zu ihrer Freundin gegangen wär. Eine einzige Enttäuschung, diese Blagen, ganz die Mutter, sag ich da nur!"
Mutti: "Wenn ich mir da den Johannes manchmal angucke...der bockt manchmal ganz schön..."
Die Stimme: "...aber er wirds trotzdem zu was bringen, der Johannes, der kriegt von seinen Eltern nämlich ein intaktes Familien- und erfolgreiches Arbeitsleben vorgelebt. Nicht wie deine vaterlose, niedriglohnmutterische Brut hier."

Ich: "Ich hab dich lieb, Ömchen."
Ömchen: "Ich dich auch..."
Die Stimme: "...aber nicht so sehr wie deinen Bruder, das verstehst du sicher. Verglichen mit ihm wirkst du wie ein misslungenes Experiment."

Wir fuhren dann nach Hause. Guckten uns Arielle an (diese neue Synchro ist Scheiße, aber wir bekamen keine andere Version) und danach das Supertalent...ich muss ja, weil meine Kinder das sehen wollen.

Ich: "Och, kommt schon...das ist doch voll blöd..."
Die Stimme: "Jaaa...das tut weh, hä, wenn man weiß, dass man überhaupt kein Talent besitzt. Na, na, na...jetzt guck nicht so hoffnungsvoll auf deinen genauso talentfreien Nachwuchs. Was können die denn schon? Lass doch mal rein spekulativ annehmen, sie stünden auf der Bühne. Was würden sie dann machen? Lara kann keinen Ton halten, tanzt wie ein Frettchen auf Ecstasy und die Darstellung einer buchstäblich zu Tode erschreckten Maus in eurer Garageneinfahrt magst du ja, so als liebende Mutter, ganz unterhaltsam finden, aber - mit Verlaub - das ist kein Talent. Und was ist mit Julian? Stell ihn vor einen Ventilator und er macht die Flugente. Das kriegt er grade noch hin. Vielleicht. Setz all deine Hoffnungen ruhig auf Sabine, aber die Hauptrolle der Giraffe in einem Provinzhauptschultheaterstück ist noch einige Lichtjahre vom Broadway entfernt."

Irgendwann gingen meine Kinder ins Bett. Und ich zappte so rum. Erwischte noch das Ende von "Big Pictures" auf Pro7 und sah all die schönen Plätze unserer Erde.

Die Stimme: "Ja, guck genau hin. Ein Glück, dass es das Fernsehen gibt, was? Da wirst du nämlich niemals hinkommen. Du wirst irgendwann abnibbeln und nix von der Welt gesehen haben. Weil du kein Geld hast. Nie welches haben wirst. Weil du ein Versager bist. Und einer bleibst. Fast 40, nix erreicht, nix gesehen, nicht eine einzige richtige Entscheidung in deinem Leben getroffen....Oooch...jetzt weinst du..."

Ähm. Glaubt der Stimme kein Wort, ich hab natürlich nicht geheult. Aber ich hatte auch keine Lust mehr, mir das Gestichel anzuhören, warf mich vor meinen PC und stopfte mir Musik in meine Ohren. Und alsdann begannen Trent Reznor und die Stimme im Duett zu singen:
"perfect little dream the kind that hurts the most, forgot how it feels well almost, no one to blame always the same, open my eyes wake up in flames, it took you to make me realize, it took you to make me realize, it took you to make me realize, it took you to make me see the light, smashed up my sanity, smashed up my integrity, smashed up what i believed in, smashed up what's left of me, smashed up my everything, smashed up all that was true, gonna smash myself to pieces, i don't know what else to do, covered in hope and vaseline, still cannot fix this broken machine
watching the hole it used to be mine, just watching it burn in my steady systematic decline, of the trust i will betray, give it to me i throw it away, after everything i've done i hate myself for what i've become, i tried, i gave up, throw it away"
Ich (demoralisiert und unter Frustrationstränchen): "...wozu eigentlich Vaseline?"