Donnerstag, 7. Oktober 2010

Der Elefantenmensch Vol. 2.0

Ich bin ein Monster! Reif für eine Kuriositätenschau! Sperrt mich in einen Käfig und karrt mich von einem ländlichen Jahrmarkt zum nächsten, denn: Sowas hat die Welt seit Joseph Merrick (jetzt bitte googlen und erschrecken) nicht mehr gesehen! Wie konnte das passieren? Klar, ich war noch nie schön. Aber man konnte mich - mit ein klein wenig Überwindung - angucken. Für ein paar Minuten. Diese Zeiten sind vorbei. Gestern abend ging ich ins Bett und sah noch ganz normal - also im Rahmen meiner Möglichkeiten - aus. Und mutierte über Nacht. Dass etwas nicht stimmte, merkte ich a) an einem leichten Spannungsgefühl in der Wange und b) daran, dass ich die Wange sehen konnte, als ich halb an mir herunter schielte. Was zum...?, fragte ich mich und näherte mich vorsichtig, auf das Schlimmste gefasst, dem Badezimmerspiegel....und sah das Allerschlimmste. Nein, ich schrie nicht. Bin ja kein Weichei. Tränen des stummen Entsetzens kullerten meine überdimensionale Wange, schafften es jedoch nicht einmal bis zum Kinn, sondern versickerten auf dem viel zu weiten Weg. Dass ich keine Schmerzen hatte, war nur ein kleiner Trost - Hässlichkeit muss ja nicht weh tun, um weh zu tun. Aber der Selbstmord musste warten, erst mussten ja die Kinder in die Schule. Als Julian gar nichts an mir aufzufallen schien, schöpfte ich zarte Hoffnung. Diese wurde aber gleich zunichte gemacht, als Lara, feinfühlig, wie sie nun mal ist, bei meinem Anblick entsetzt Luft holte und dann meinte: "Ist gar nicht so schlimm, Mama. Da haben wir schon schlimmeres gesehen." Ja, nun denkt ihr bestimmt: Wie? Das ist doch gar nicht so brutal? Lest weiter. Ich, obwohl mich die Erfahrung schon längst eines Besseren hätte belehren sollen, fragte: "Ach ja? Wo denn?" Eins muss man Lara lassen: Sie überlegt sich ihre Antworten genau. Sie runzelte die hassenswert glatte Stirn, kräuselte das makellose Näschen und meinte dann: "Ich weiß nicht. Vielleicht....im Krieg?" Eine Kerbe, in die Sabine doch gerne hackte: "Oder in einem Versuchslabor. Oder in einem Zombiefilm!" Ich warf die Kinder raus, rief auf der Arbeit an und konsultierte den Zahnarzt meines Vertrauens (nicht, dass man den Dentisten überhaupt trauen könnte). Ich wurde geröntgt, gebohrt, genadelt, gespült und nach Hause geschickt mit der Ermahnung, das Loch im Zahn offen zu halten und "Wenn doch mal was reinrutscht, vielleicht mit einer Stecknadel sauber machen." Hallo?! Ich werd mir selbst ne Nadel in meinen offenen Wurzelkanal nadeln? Gehts noch? Da kann ich ja gleich beim nächsten Mal bei Zahnproblemen zum Dorfschmied gehen! Nun denn. Angesichts der Abwesenheit von Schmerzen ging ich meinen täglichen Erledigungen nach. Sprich: Auf den Schock wollte ich nur noch nach Hause und schlafen. Ich stehe vor der Tür, fummele an meinem Schlüsselbund und... kein Haustierschlüssel dran. Zeit für einen "retarded moment"....äääääähhhhhhhnnnnnggggg...Ach ja! Den Schlüssel hatte Lara! Also ab zur Schule, Unterricht stören. Ich klopfe an, gucke rein, frag nach meiner Tochter und da sitzt sie. Und weint. HEY! Wer hat meine kleine Prinzessin zum Weinen gebracht? Den mach isch PLATT! Der Lehrer wars. Er war auch unmenschlich grausam, wie mir mein Töchterlein schluchzend schilderte. Er hat sie nicht aufgerufen. Er ruft sie nie auf. Na gut, jedenfalls nicht jedes Mal, wenn sie sich meldet. Lehrer meinte, sie meldet sich immer. Jedes Mal. Und er muss ja auch mal andere Kinder aufrufen. Und weil er weiß, dass Lara die Antwort ja immer weiß, nimmt er halt auch mal welche, die sich nicht melden. Meine Tochter, der Streber. Andere wären froh, wenn sie nicht aufgerufen werden würden. Ich besänftigte mein aufgelöstes Kind (nein, bleiben wir mal bei der Wahrheit: Ich bestach es und versprach ihr was Schönes, wenn sie jetzt artig aufhören würde zu Heulen. Funktioniert immer.) Zum Schlafen wars dann auch zu spät, also zog ich los, ein Buch für Mutti kaufen - sie hat Geburtstag - "Nein, ich will keinen Seniorenteller." und eine Flasche Wein. Überall, wo ich hinkam, wurde ich mitfühlend auf meine Entstellung angesprochen (Jaha, das machen sie jetzt noch...in einem Monat werden sie mich dann mit Steinen bewerfen und aus der Stadt jagen) und das tat meiner armen Seele gut. Das hielt dann aber auch nicht lange, denn als Sabine nach Hause kam, stand sie vor mir, starrte mich durch die gefühlten Gitterstäbe meines imaginären Zirkuswagens an und kicherte...und kicherte...

Kleiner Nachtrag: Grade stand mir Julian in der hellen Küche gegenüber, starrte mich an und sagte schließlich: "Du siehst irgendwie anders aus." Ich starrte zurück und deutete demonstrativ auf die Schwellung, die nun wirklich nicht zu übersehen ist...ich wette, man findet sie schon bei Google Earth ("Tscharliehs Wange, Mittelgebirge, Höhe, Breite, etc.). Er guckte weiter...auf meinen Zeigefinger, dann nochmal auf die Wange und schließlich fiel der Groschen: "Deine Backe ist ja ganz...rot!" Ich hatte sie gekühlt...

4 Kommentare:

  1. Da entwickelt Julian ja glatt noch das Potenzial zum Lieblingskind. Aber was ist ein Haustierschlüssel? :D

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  2. Ich bin a) gehandicapt und b)...du weißt doch: Niemand mag Klugscheißer! (und deshalb mach ich das Telefon jetzt aus und geh ins Bett) :D

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  3. Google Earth? Das klingt wohl eher nach der Entdeckung einer neuen Tierarzt: Dem gemeinen Wangentölpel oder so ^^

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  4. Du bist gehandicapped? Schreibst Du mit der Wange???

    Obwohl... lustige Vorstellung... :D

    Gute Abschwellung wünscht dat Abalone

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